Nachruf auf Łucja Barwikowska
15. September 2022
Am 10. September 2020 ist Łucja Barwikowska gestorben. Wir sind traurig über diese Nachricht und denken voller tiefen Mitgefühls an ihre Familie und alle, die ihr nahestehen. Łucja überlebte die Konzentrationslager Stutthof und Uckermark. Seit 2005 besuchte sie Bau- und Begegnungscamps und Befreiungsfeiern auf dem Gelände des ehemaligen Jugendkonzentrationslagers Uckermark und in Ravensbrück, solange ihr dies gesundheitlich möglich war. Wir veröffentlichen hier den Nachruf der Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e. V.:
Unsere Freundin Łucja Barwikowska ist gestorben
Am 10. September 2022 ist Łucja gestorben.
Łucja Barwikowska wurde am 15.12.1927 in Pruszcz bei Gdańsk in Polen geboren.
Im Mai 1943 wurde sie an ihrer Arbeitsstelle verhaftet. Ebenso ihre Eltern und ihre Schwester sowie auch Familien aus ihrer direkten Nachbarschaft. Sie alle wurden in das Konzentrationslager Stutthof bei Gdańsk deportiert.
Die Verhaftungen waren eine Racheaktion der deutschen Wehrmacht: Nach dem Überfall der Deutschen auf Polen war Łucjas Bruder mit sechs weiteren jungen Männern aus der Nachbarschaft zwangsrekrutiert worden. Sie waren an die Frontlinie Norwegens geschickt worden, mit einem Zug, der Schweden – als neutrales Land – passierte. Hier hatten sie eine günstige Gelegenheit genutzt, waren vom Zug gesprungen und desertiert.
Ein Jahr musste Łucja im KZ Stutthof verbringen. Im Mai 1944 wurden die 16-jährige Łucja Barwikowska und ihre 14-jährige Schwester von ihrer geliebten Mutter getrennt.
Sie wurden in das Jugend-KZ Uckermark deportiert. Dort wurden die Mädchen in verschiedenen Blöcken untergebracht und konnten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr miteinander sprechen. Łucja blieb im Block der Sloweninnen, im sogenannten Sonderblock. Sie arbeitete in diversen Arbeitskommandos: Strickerei, Waldkommando, Hofkommando, Kaninchenzucht, Wäscherei. Zum Ende der Haft arbeitete sie als Lagerläuferin und im Revier.
Die letzten drei Wochen vor der Befreiung waren Łucja und ihre Schwester als Zwangsarbeiterinnen in einem Hotel in Fürstenberg eingesetzt.
Nach der Befreiung legten sie einen weiten, langen Weg zurück – 200 km davon auf zerschundenen Füßen, bis sie ihre Heimatstadt Tczew bei Gdańsk erreichten. Hier fanden sie die Wohnung ausgebombt, die Mutter aus dem KZ nicht zurückgekehrt, den Vater psychisch verloren und hilfsbedürftig. Es fehlte jegliche psychologische und ärztliche Unterstützung – sie sagte, wir wurden alleine gelassen mit dem Erlebten.
Łucja hat Jahrzehnte nicht darüber gesprochen, was sie während ihrer Gefangenschaft erlebte – auch nicht in ihrem Familienkreis. 2005 kehrte sie zum allerersten Mal an den Ort ihrer Leiden zurück, wenig später wagte sie zum ersten Mal den mutigen Schritt und erzählte ihre Geschichte auf einem Uckermark-Forum in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.
Wir hatten das große Glück, sie kennenzulernen. Sie teilte immer wieder mit großem Vertrauen und trotz großer Schmerzen ihre Erinnerungen mit uns, kam immer wieder, solange es ihre Gesundheit zuließ, zu den Befreiungsfeiern im April und zu den Bau- und Begegnungscamps im August.
Es war jedes Mal schwer für Łucja zu kommen und doch wollte sie Blumen bringen, mahnen, gedenken und die Arbeit der Initiative unterstützen. Sehr berührend waren die Begegnungen mit ihren „Lagerschwestern“ Anni Kupper und Stanka Krajnc-Simoneti, die sich nach über 60 Jahren zum ersten Mal wiedersahen.
Ihr Sohn Marek und ihre Schwiegertochter Beta begleiteten sie, übernahmen ihr Vermächtnis und erzählten Łucjas Geschichte, als sie selber nicht mehr konnte, gegen das Vergessen, bis heute.
Łucja ist uns eine gute Freundin geworden. Sie war ein wunderbarer, liebenswürdiger, feiner und feinfühliger Mensch. Sie liebte Literatur und Gedichte, liebte Hüte und Mützen, auch mal ein Käppi auf dem Baucamp, Blumen und Schokolade und ihre Familie, lachte gerne und war voll von einem stillen Schalk.
Łucja liebte die Menschen und wünschte sich eine Welt, die für alle gut ist.
Wir sind sehr dankbar, dass wir Łucja kennenlernen durften und für ihr großes Vertrauen in uns.
In unseren vielen schönen Erinnerungen wird sie weiterleben.
Initiative für einen Gedenkort ehemaliges KZ Uckermark e. V., September 2022
Hier steht der Nachruf als PDF zum Herunterladen bereit: