Grußwort der LGRF zum 30. Jahrestag der rassistischen Brandanschläge in Mölln

16. Dezember 2022

Am 23. November 2022 jährten sich die rassistischen Brandanschläge von Mölln, bei denen Bahide Arslan, Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz ermordet wurden, zum 30. Mal. Zum diesjährigen Gedenken trug die Lagergemeinschaft Ravensbrück / Freundeskreis ein Grußwort bei, das wir hier dokumentieren:

Lieber Ibo, lieber Faruk, liebe Familien Arslan und Yılmaz,
liebe Betroffene, An- und Zugehörige und solidarische Menschen,

Wir sind traurig und wütend über den Tod von Bahide und Yeliz Arslan und Ayşe Yılmaz – wir  werden sie nicht vergessen. Euch Betroffenen, An- und Zugehörigen möchten wir unser tiefes Mitgefühl aussprechen.

1992 hat unsere Lagergemeinschaft Ravensbrück wie so viele andere Organisationen und Einzelpersonen nach dem Bekanntwerden der rassistischen Brandanschläge in Mölln einen Brief an Euch geschickt, in dem wir unsere Solidarität mit euch zum Ausdruck brachten. Er wurde hier gerade vorgelesen. Unser Brief, wie die vielen anderen, haben euch nicht erreicht, da sie von der Stadt Mölln nie an euch weitergeleitet worden waren. Sie hätten euch vielleicht ein wenig trösten und stärken können. Wir sind entsetzt und wütend, wie sich Vertreter:innen der Stadt Mölln euch Betroffenen und euren  Angehörigen gegenüber verhalten haben. Diese Briefe der Solidarität mitsamt des gesammelten Geldes sind euch vorenthalten worden und sind letztendlich nur durch Zufall, 27 Jahre später, bekannt geworden.

Wir fordern die Stadt Mölln auf, Dinge, die euch betreffen, nur in Rücksprache mit euch und mit eurem Einverständnis zu machen. Wie du, Ibo, schon so lange sagst: Die Betroffenen müssen gehört werden.

Solidarität ist unteilbar und ist unverzichtbar – immer und bis heute. Es war und ist uns sehr  wichtig, über unseren eigenen Tellerrand zu schauen, einzugreifen, beizustehen und gemeinsam zu handeln – damals wie heute.

1993, ein Jahr, nachdem der Brief geschrieben worden war, schlossen sich die beiden Lagergemeinschaften ehemaliger Überlebender der Frauenkonzentrationslager Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück aus Ost- und Westdeutschland zusammen und öffneten sich gleichzeitig den nachfolgenden Antifaschist_innen unabhängig von ihrem ihrem familiären Hintergrund. Alle in der damaligen Lagergemeinschaft Aktiven sind mittlerweile gestorben. Die Lagergemeinschaft soll aber über den Tod der überlebenden Häftlinge hinaus bestehen und im Sinne ihres Vermächtnisses  „Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg“ weiterkämpfen.

Dazu gehört für uns:
solidarisches Handeln gegen Rassismus, Antisemitismus und Gadje-Rassimus,
solidarisches Handeln gegen Sexismus,
der Kampf um Anerkennung von als sogenannt asozial Verfolgten,
der Kampf um Anerkennung der Frauen, die Sexzwangsarbeit leisten mussten
sowie für die verfolgten lesbischen Frauen und Mädchen.

Unser Ehrenmitglied Esther Bejarano hat euch 2017 einen Brief im Rahmen der Möllner Rede im Exil in Berlin geschrieben:

Meine Familie, sowie Millionen von Menschen, sind einer kranken und hasserfüllten Ideologie zum Opfer gefallen. Wir haben das gleiche Leid erleben müssen, wir mussten erfahren, dass geliebte Menschen AUS UNSEREM UND IHREM Leben gerissen wurden und unsere Welt ein Ort von Dunkelheit und Trauer wurde.

Es ist dieselbe Gesinnung, derselbe Hass und dieselbe Niedertracht, die uns unsere geliebten Mütter, Väter, Kinder, Schwestern und Brüder entrissen und uns ins Unglück gestürzt hat. Es ist der Rassismus, der so viele Menschen getötet hat und der auch heute noch tötet. Die gleiche Kälte und Ohnmacht, die wir spüren mussten und müssen, die gleiche Verzweiflung, allein und machtlos zu sein…..

Der Nazismus und Rassismus wurde in diesem Land auch nach 1945 weder politisch noch gesellschaftlich so konsequent bekämpft, wie er hätte bekämpft werden müssen und können. Er konnte sich auch weiterhin in staatlichen Strukturen festhalten, vor allem im Verfassungsschutz und der Justiz, und ja sogar noch mehr, er konnte sich wieder ausbreiten.

Um es klar auszusprechen, ohne das Wegschauen und das Decken nach 1945 hätte es das Oktoberfestattentat, Rostock- Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln und den NSU so nicht geben können. Es hätten aus den Erfahrungen und Ereignissen des Nationalsozialismus die richtigen Konsequenzen gegen den Hass gezogen werden müssen.

Es gab jedoch eine Toleranz gegen Täterinnen und Täter, und Nazis wurden und werden in diesem Land direkt und indirekt, durch politische Kampagnen und das Schweigen und Wegschauen ermutigt, weiter Hass und Leid zu verbreiten.

Das ist der rote Faden von damals zu heute. Es ist auch hier die gleiche Ignoranz und Akzeptanz – ja eine traurige und leidvolle Tradition, die wir zu verschiedenen Zeiten im gleichen Land erleben mussten!

Seit 1992 sind viele rassistische Angriffe und Morde verübt worden. Wir konnten sie nicht verhindern.

Eine der Lehren ist, dass wir auf uns selbst vertrauen müssen und wollen und keine staatliche Unterstützung erwarten können. Wir müssen alles erkämpfen. Gemeinsam können wir uns stützen und versuchen zu schützen. 

Ihr habt aus eurer Angst, eurer Trauer und eurer Wut Widerstand entwickelt. Ihr habt euch mit anderen Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt und ihren Angehörigen und Freund_innen zusammengeschlossen, ihr tretet sichtbar auf und lasst nicht zu, dass eure Geschichte und die eurer Angehörigen vergessen wird.

Ihr fordert Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen – dabei wollen wir euch unterstützen.

Eine eurer zentralen Forderungen ist, dass die Betroffenen, ihre An- und Zugehörigen im Mittelpunkt des Gedenkens stehen müssen – dem schließen wir uns aus vollem Herzen an.
Dies ist auch die Haltung der Lagergemeinschaft – und wir wollen mit Augen und Herzen sehen, gegenseitig unsere Geschichten hören und mit euch Schulter an Schulter stehen.

Ihr sagt:

„WIR WERDEN IMMER WIEDER DA SEIN“
„BİZ HER ZAMAN ORADA OLACAĞIZ”

– wir werden an eurer Seite sein.

Habt vielen Dank für euren Mut und eure Hartnäckigkeit.

Erinnern heißt Handeln.

Reclaim and Remember.

Hier das Grußwort als PDF zum Herunterladen: