Befreiungsfeier 2021: Beitrag zur Skulptur „Die Tragende“

17. April 2021

Dieser Videobeitrag gibt Einblick in die Geschichte der Skulptur „Die Tragende“ in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück: was die Skulptur symbolisiert, was sie Überlebenden bedeutet, wer sie gestaltet hat. Auch zum 76. Jahrestag der Befreiung haben Mitglieder der LGRF dort einen Kranz niedergelegt.

Text zum Video:

Diese Gedenkstätte am See, in den die Asche unserer Toten geschüttet wurde, wird für immer an den Heroismus erinnern, dessen stummer Zeuge diese Erde war.
Aber sie wird mehr sein als das!
Sie wird ein Appell an die kommenden Generationen sein, so zu handeln, daß es niemals wieder ein Ravensbrück gibt.“

Claire van den Boom aus Belgien, Mitbegründerin des Internationalen Ravensbrück Komittees, in ihrer Rede bei der Einweihung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Außerhalb der Lagermauer am Ufer des Schwedtsees wurde die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück errichtet und am 12. September 1959 eingeweiht.

Zentrum der Gedenkstätte ist die Bronzeskulptur „Tragende“ von Will Lammert, die als das Mahnmal der Gedenkstätte Ravensbrück gilt. In den Plänen von Will Lammert wird die Skulptur als „Benario-Gruppe“ bezeichnet. Sie soll an eine Begebenheit erinnern, von der Maria Wiedmaier, kommunistische Gefangene und Vorarbeiterin in der Schneiderei, berichtete:

Olga Benario-Prestes, Blockälteste im jüdischen Block 11, hatte nach einem mörderischen Arbeitstag – Schilfschneiden am Seeufer – eine bewußtlos zusammengebrochene Kameradin zum Revier getragen.“

Ungeachtet des strengen Verbots der SS hatte Olga Benario-Prestes ihre beim Appell zusammengebrochene Gefährtin aufgenommen und vor aller Augen in das Krankenrevier getragen.

Als die Mahn- und Gedenkstätte für das ehemalige Frauenkonzentrationslager Ravensbrück 1959 eingeweiht wurde, war Will Lammert schon zwei Jahre tot. Er starb 1957, ohne seine 1954 begonnenen Arbeiten für Ravensbrück abschließen zu können. Will Lammert hatte für die „Benario-Gruppe“ weitere Figuren vorgesehen: Zwei dieser Figuren – „Frau mit Kopftuch“ und „Frau mit kahlrasiertem Kopf“ stehen heute am Beginn der Mauer der Nationen. Die Bildhauer Fritz Cremer und Hans Kies vollendeten die zentrale Skulptur der „Tragenden“, und vergrößerten sie auf die heutige Höhe. Die „Tragende“ blickt, das ehemalige Lagergelände im Rücken, auf den unmittelbar angrenzenden Schwedtsee und die Stadt Fürstenberg.

An dieser Stelle stellt die Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundeskreis das Leben von Will Lammert vor.

Geboren wird Will Lammert am 5. Januar 1892 in Hagen/Westfalen.
Er beginnt 1906 eine Lehre als Stuck, -Holz und Steinbildhauer, die
bis 1910 dauert. Anschließend beginnt sein Plastikstudium an der
Staatlichen Kunstgewerbeschule Hamburg.

1914 wird er, nach Beginn des 1. Weltkriegs, als Soldat eingezogen
und schwer verwundet. Nach Ende des Krieges besucht der Künstler,
um sein unterbrochenes Studium fortzusetzen, die Fachschule für
Keramik in Höhr bei Koblenz.

Ab 1922 zieht Will Lammert nach Essen, in die Künstlerkolonie Margarethenhöhe, wo er am Aufbau einer Werkstatt für Keramik, freie und baugebundene Kunst beteiligt ist, die er anschließend leitet.

Will Lammert hatte in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg an markanten Antikriegs-Denkmalen gearbeitet und wurde in den 1920er Jahren zu einem Exponenten des klassischen Expressionismus in der Plastik.

1932 trat Will Lammert in die KPD ein. Nach der Machtübertragung an die Nazis emigrierte er mit seiner Familie nach Frankreich. Dort fand er weder ein Atelier noch erhielt er Aufträge. Nach seiner Ausweisung 1934 verbrachte Will Lammert 18 Jahre in der Sowjetunion, ohne eigenes Atelier und ohne größere Aufträge. Nach dem Überfall der Wehrmacht 1941 auf die Sowjetunion wurde er interniert, in die Arbeitsarmee eingezogen und nach Kasan verbannt. Nach Kriegsende wurde er in eine Spezialverbannung „auf ewig“ geschickt. Erst Ende 1951 durfte er die Sowjetunion verlassen und nach Deutschland zurückkehren.

Die Nazis hatten Will Lammert als sogenannten jüdisch versippten Kunstbolschewist verfemt und sein Lebenswerk, soweit es in Museen, auf Friedhöfen oder in öffentlichen Anlagen stand, systematisch zerstört, zertrümmert und die Bronzen eingeschmolzen. Nur einige Kleinplastiken in Privatbesitz überlebten diese Zerstörungsorgie.

Nach seiner Rückkehr 1951 wurde Will Lammert in der soeben gegründeten DDR zum Mitglied der Akademie der Künste berufen und führte dort eine Meisterklasse.

1985 – noch weit nach Will Lammerts Tod wird eine Figurengruppe aus hinterlassenen Modellen zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus verwirklicht.

Diese Gruppe steht heute auf dem alten jüdischen Friedhof in Berlin-Mitte.
Will Lammerts „Tragende“ in Ravensbrück zählt zu den bedeutendsten Skulpturen deutscher Bildhauer*innen im 20. Jahrhundert. Sie hält als Wahrzeichen der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück einen für das Überleben wichtigen Akt der Solidarität und des Widerstandes der in Ravensbrück gefangenen Frauen fest und stellt diesen in den Mittelpunkt des Gedenkens in Ravensbrück.

So sagt Urszula Winska, damalige Vorsitzende des Klubs der ehemaligen
Ravensbrückerinnen in Gdańsk zur Einweihung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück und der Skulptur von Will Lammert.

Es symbolisiere das, was es an Edlem im Lager gegeben habe: menschliches Mitgefühl und Hilfe für die Schwächsten.

Quellen:

Von „Mutter Erde“ zur „Tragenden“ geschrieben von Werner Röhr, erschienen in der antifa am 16. September 2019.

Mit den Augen der Überlebenden, 3. Auflage 2017, S. 60.

www.arbeitskreis-konfrontationen.de/Kunst_als_Zeugnis/Biographien/Will_Lammert

Urszula Wińska: Więzi. Losy więżniarek z Ravensbrück, Gdańsk 1992, S. 169.

Hier gibt es den Text als PDF zum Herunterladen: